Rekonstruktion eines Baudenkmals lässt Geschichte sichtbar werden
Gröne Architektur gewinnt 2019 die öffentliche Ausschreibung für die Rekonstruktion einer ehemaligen Häftlingsbaracke des KZ Niederhagen. Über drei Jahre werden alle Nutzungsphasen des zuerst als Küche und später als Flüchtlingswohnung genutzten Steinbaus herausgearbeitet.
Mit der Eröffnung als Ausstellungsort wurde im Sommer 2021 in Wewelsburg ein besonderes Projekt des Kreises Paderborn abgeschlossen: Die Restaurierung der Häftlingsküche des ehemaligen Konzentrationslagers Niederhagen.
Das Gebäude steht für ein besonders dunkles Kapitel der deutschen Geschichte. Wewelsburg mit seiner einmaligen Dreiecksburg sollte nach Plänen von SS-Reichsführer Heinrich Himmler zum zentralen Kultort des nationalsozialistischen Dritten Reichs umgebaut werden. Die Arbeit sollten Zwangsarbeiter verrichten. Für sie, unter anderem Russen, Polen, Belgier, Niederländer und Deutsche, wurde zwischen 1940 und 1941 das KZ Niederhagen errichtet.
Nach dem Krieg wurden die Baracken von den Alliierten als Camp für ehemalige Zwangsarbeiter genutzt. Später zogen Flüchtlinge und Vertriebene in das Lager. Bis Mitte der 1960er Jahre wurden die Holzbaracken abgerissen. Nur die Steinbauten blieben stehen: das ehemalige Torhaus, die Wäscherei, die SS-Garagen und die Küchenbaracke. Dort hatten die Gefangenen ihre Mahlzeiten zubereitet und gegessen.
Später wurde sie zu Wohnzwecken umgebaut. Für die Trennwände der Flüchtlingswohnungen hatte man zum Teil die Wandstücke der abgerissenen Holzbaracken verwendet. Dass es sich dabei tatsächlich um die ursprüngliche Bausubstanz handelte, wurde 2016 deutlich, als die Baracke in die Erweiterung des benachbarten Feuerwehrgerätehauses einbezogen werden sollte. Zu Beginn des Umbaus wurde auf einem Holzbalken der polnische Satz „Lang lebe des Königreich Polen“ gefunden, wohl von einem Insassen mit Bleistift hingekritzelt.
Die Denkmalschützer verhängten einen sofortigen Baustopp und stellten das Gebäude unter Schutz. 2018 kaufte der Kreis Paderborn die Baracke von der Stadt Büren ab und beauftragte 2019 nach einer öffentlichen Ausschreibung Gröne Architektur mit Planung und Begleitung der Rekonstruktion.
In enger Abstimmung mit einer auf KZ-Gebäude spezialisierten Bauhistorikerin nahmen sich Architekt Marcel Zorn und Bauingenieurin Caroline Heising im Team der anspruchsvollen Aufgabe an, die baulichen Spuren aller Nutzungsphasen sichtbar zu machen – von den Fußböden über die räumliche Aufteilung bis zu den Tapeten an den Wänden. Dabei kamen immer neue Zeugnisse der wechselvollen Vergangenheit zum Vorschein. So wurde deutlich, dass die Baracke wie alle anderen ursprünglich ebenfalls aus Holz gebaut worden war. Später wurden von innen Ziegelwände aufgemauert und die Holzwände abgerissen. Dabei handelte es sich um genormte Teile, die in allen Konzentrationslagern des Dritten Reichs verbaut worden sind.
Im Keller der Baracke wurden ursprünglich Nahrungsmittel gelagert. Zur Belüftung konnte auf die alten Lichtschächte zurückgegriffen werden, die das Team von Gröne Architektur ausfindig machte und freilegen ließ. Auch die verschiedenen Funktionsbereiche konnten rekonstruiert werden. So deuten zur Mitte hin geneigte Fliesenböden auf die Spülküche und wieder verschlossene Wanddurchbrüche auf frühere Durchgänge hin.
Um auf dieses besondere Projekt vorbereitet zu sein, setzte sich Architekt Marcel Zorn intensiv mit der Geschichte des KZ Niederhagen auseinander und sichtete historisches Material des Museums Wewelsburg. Es ging darum, wachsam zu sein für alles, was bei den Bauarbeiten zutage treten würde, und auch die ausführenden Handwerker entsprechend zu sensibilisieren. Hinter einer Fußleiste wurde dann auch ein Bezugschein für Heizmaterial entdeckt, ein Schnipsel Papier aus der Zeit, als die Baracke von Flüchtlingen bewohnt war.
Stück für Stück, in wochen- und monatelanger Kleinarbeit an Wänden, Böden und Decken, wurden die Spuren der Geschichte freigelegt. Und zwar ohne auf ein ästhetisch ansprechendes Ergebnis zu zielen, wie es für ein Architekturbüro sonst üblich ist. Nutzungsspuren sollten in den Vordergrund treten, anstatt wie bei anderen Projekten kaschiert zu werden: Brandflecken der Öfen auf den Böden beispielsweise oder der eingebrannte Abdruck eines Bügeleisens an einer Bretterwand.
400.000 Euro wurden von Kreis Paderborn, Land Nordrhein-Westfalen und der EU in das Projekt investiert. Es soll später als Teil des Kreismuseums Wewelsburg eine neue Dauerausstellung beherbergen.